17.03.16

Grösste Herausforderung: Sich selbst vertrauen.

Ich absolviere zur Zeit eine Ausbildung zu einem systemische Coach. Ich mache das aus drei Gründen:
  • weil ich mich assimilieren möchte, dank besserem Verstehen
  • weil ich für den deutschen Markt einen deutschen Ausweis haben möchte.
  • weil es solche Ausbildungen vor 10 Jahren noch nicht wirklich gab

Ich coache aber schon seit 10 Jahren. Insgesamt geht es dabei an die 400 Mandate. Und klar, in zehn Jahren verändert man sich in seiner Arbeit. Ich werde besser, ich werde schlechter, ich werde erkennbarer und ich verliere mich. Da hat die Ausbildung eine massive und sehr geschätzte Wirkung, mich zu konsolidieren, mich noch viel mehr zu stärken und mich noch professioneller werden zu lassen. Es ist ein enormer Gewinn, etwas zu lernen, was man schon so lange lebt, arbeitet und macht. 

Aber warum stelle ich das 'so dar? 

Weil neben mir noch Personen die Ausbildung absolvieren, die Beginner sind. Und weil die sich in der Ausbildung 'zeigen', die also 'sichtbar' für mich werden, wenn die ihre Stufen des Erfahrens begehen. Wir sind aktuell in einer Lernstufe, wo ein Beginnen mit Coachingerfahrungen möglich wird. Was hat sich aber gezeigt?

Bisher wurden wir Schritt für Schritt ans Coachen herangeführt. Zuerst waren es Wissensanteile, Kopfertes. Dann erste Methoden. Später folgten weitergehende Möglichkeiten, sich auf den Coachingprozess einzulassen. Irgendwie wurde spürbar, dass die Teilnehmenden sich an Formen von Rettungsleine klammerten und es wurde schon zum Bestreben, in den Übungen den 'Leit-Fäden' (Methode, Ablauf, Fallvorlage) zu entsprechen. Irgendwie, "als wäre Abweichen nicht gefragt". 

Und nun kam's. Am vergangenen Ausbildungstag ergab sich ein Rollenspiel mit einem Gast-Coachee. Vielleicht die erste echte Coachingsituation. Wir wussten fast nichts von Coachee. Er klärte mit uns das Vorgespräch und in einer zweiten Runde den sozusagen 'ersten Termin / das erste Coaching'. Dauer: je Vorgespräch und Ersttermin ca. 40 min.

Was zeigte sich mir im Umfeld der Klasse / Gruppe / Kollegen?

Es war von höchst nervöser und unangenehmer Wahrnehmung, Herausforderung und Unsicherheit, als sich einige gewahr wurden, in einem Coaching höchstmöglich und in bisher nicht bekanntem bzw. nicht bewusst gemachten Umfang SICH SELBST VERTRAUEN ZU MÜSSEN. 

Es zeigte sich, dass es für ein erstes Mal keine Methode, keine Vorgehens- oder Verfahrensweise gab, die einem eindeutig leitete, trug und an der man sich strukturiert orientieren konnte. Es war, als würde man jemanden bei Nacht auf offener See aussetzen, mit der Aufgabe, einen Fremden kompetent dabei zu unterstützen, nach Hause zu schwimmen. Irgendwie so. Es war aufsmal alles komplett offen. 

Und diese Erfahrung hatte ich vor 10 Jahren gemacht. Ich erinnere mich genau und auch, was mich damals stärkte. Ich hätte nicht mehr daran gedacht noch es mir bewusst gemacht. Ich arbeite ja seither so. Bei jedem neuen Auftrag ist es erst einmal eine Art Blindflug, bei dem Zuhören und Einfühlen meine einzigen Mittel sind, mich für das Coaching des Coachees zu orten, mich reinzufinden und mich so zu finden, dass ich fragend den Coachee zu seinen Reflexionen bringen vermag. 

Nochmal fürs Auge: Ich weiss nichts. Kaum etwas. Besser gar nichts. Und dann beginnt das Gespräch und ich soll in knapper Zeit dann Fragen stellen, welche den Coachee in seiner Selbsthilfe fördern. So muss sich Basejumping anfühlen. Ich springe ab und es bleibt einzig an mir, ob ich nicht zerschelle. Es rettet mich kein Anzug, kein Schönwetter, kein Aufwind oder sonst Berechenbares. Ich lasse mich fallen, lasse los, bin ohne Boden - und: Was ich zur Hand habe, ist einzig mein Vertrauen in mich / in mein Ganzes meines Ichs.

Das schien mir, meine Kolleginnen und Kollegen beobachtend und auch laut vernehmend eine Stelle, wo ausgesprochen wurde: "Also so weit möchte ich da gar nicht hin - so weit möchte ich nicht gehen." 

Diese Aussage ist aber nicht so zu hören, dass man für den Coachee nicht so weit gehen möchte. Diese Selbstangabe meint: "Ich - für mich - möchte mich nicht so weit einlassen."

Warum nicht?
  • Da kenne ich mich nicht aus
  • Das ist mir zu intesiv
  • Das habe ich mit mir selber noch nie geklärt
  • Das bin ich mir selber noch schuldig - Antworten zum Beispiel, wer und wie ich bin
  • Das ist ausserhalb meiner Werte, Konventionen und allenfalls Sozialisationen
  • Vor so viel Loslassen habe ich einfach Schiss - egal, ob ich schon weiss warum
  • In dieser Tiefe / Intensität / Raum habe ich nichts mehr, woran ich mich festhalten kann
  • Ich darf aber nicht versagen / nicht schwächeln / nicht scheitern / nicht nicht-weiterwissen
  • etc.
Doch. Es gibt durchaus ruhige Herangehensweisen. Sie bedeuten viel eigene Reflexion, viel Verstehen vom Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe und irgendwie braucht das alles seine Zeit. Das ist so ein Teil, von dem man zu Recht sagen könnte: "Unbezahlbar - ... und damit nicht käuflich." Er muss erfahren werden. Das Wort Selbsterfahrung steht im Raum. Sich selber wagen, um wagen zu lernen.

Und noch dein 'Doch': Man muss an dieser Stelle das Denken und Kognitives wie Methoden, Tools, Rettungsanker vergessen, weil man an dieser Stelle NUR MIT FÜHLEN / SICH SELBER KENNENLERNEN PER FÜHLEN , weiterkommt. Ich-Kompetenz im Bauch und im Herz, in einem 6. Sinn vielleicht.

Der Mensch entwickelt sich durch Krisen. Krisen sind nicht immer Verluste und Probleme. Viele Krisen sind einzig das Gefühl von Unsicherheit / Verlorenheit / Orientierungslosigkeit. Im Aussen ist nichts passiert und nicht verloren gegangen - aber gefühlt ist es eine eigene Zeit der Ohnmacht und Formen von Unsicherheit bis Angst. Die Chancen also, dass sich diese negativ verbundenen Gefühle auflösen, verdunsten und sich als Nebel verziehen, sind gross. Die Zeit hilft oft am meisten. 

Und dann gilt weiter: 

"Dem Traum folgen und nochmals dem Traum folgen
  - und so bis in alle Ewigkeit."
 Joseph Conrad, Engländer, eigentlich Pole 

Es mag eine der grössten Herausforderungen sein, sich als Mensch dahin zu entwickeln, sich selbst zu vertrauen. Wenn das einem schockt und stocken lässt, kann ich das gut nachfühlen. Daran aber werden Sie Ihr Wirken als Coach selber gefühlt ermessen.

  • Vertrauen Sie sich? 
  • Und wenn Ja, wie weit? 
  • Was wissen Sie in der Sache über sich selbst?
  • Schon mal gewagt?



Herzlich

Jona Jakob

consensus-coaching.com
Zürich Bern Frankfurt

Beiträge aus dem Blog, die zum obigen Thema passen könnten bzw. in Verbindung stehen:

1) Coachingausbildung wird zum Loch, in das man fallen kann
http://exhalat.blogspot.de/2013/10/coachingausbildung-wird-zum-loch-in-das.html

2) Eine Coachingausbildung ist keine Kompetenz
http://exhalat.blogspot.de/2013/10/eine-coachingausbildung-ist-keine_15.html