03.08.16

Betroffenheit und/oder Bedürftigkeit - Wenn Coaches antriggern oder seelisch hungern

Am 1. August publizierte ich im 'Blog für Cochees' einen Beitrag, dass Coachees, die zu bedürftig sind, eigentlich nicht coachbar, da sie im Moment nicht mit genügend intakter Selbstbestimmungskompetenz gesegnet, sind.

Link: http://individuare.blogspot.de/2016/08/zu-hohe-bedurftigkeit-verhindert-ihre.html

Bedürftige interagieren so, dass nicht unser Miteinander gedeiht, sondern die eigene Notlage genährt wird.
    Auf diesen Beitrag hin fragte ein Leser:

    ... & wenn der Coach - oder die Coachin - selbst "bedürftig" ist?


    Was ist, wenn Coaches BETROFFEN sind?


    Ich unterscheide 'betroffen' von 'bedürftig' - zuerst 'betroffen: 

    Es kommt nicht zu selten vor, dass Personen durch eine Schicksal-mässige Betroffenheit ExperteIn, Coach, TherapeutIn oder VortragsrednerIn werden. Z.B. bei
    • Burnout-Betroffene
    • HB-HS-Betroffene
    • Mobbing-Betroffene
    • Gewalt-Betroffene
    • Krankheit-Betroffene
    • etc. 

    Das mag auf den ersten Blick "verständlich" wirken, ist aber genau zu trennen: 
    Steckt die 'begleitende' Person noch in einer hohen Betroffenheit des Themas, ist sie selber nicht wirklich 'distanziert', jedenfalls nicht zu diesem Thema:
    • weder zu sich und den eigenen Empfindungen und Reaktionen
    • noch zum Thema an sich, wenn es wo aufkommt
    • noch dann zu fremden Menschen, allenfalls Klientel, welches mit dem Thema ankommt

    Diese fehlende Distanz und Geklärtheit lässt "Coaches oder eben sonst wie Themen-Fachspezifische" antriggern und sie sind somit im Thema und ihren eigenen Dingen befangen und verfangen. Sie geraten in Emotionen und damit in etwas, das dringend unterschieden werden muss: Sie identifizieren sich mit den Klienten - und das sollten sie NICHT. 

    Das ist nicht einfach zu verstehen noch zu beschreiben. Sie müssten das Thema erfahren haben, es kennen, eigene und fremde Erfahrungen mitbekommen haben, aber diese Erfahrungen müssten verarbeitet und geklärt sein, ganz im Sinn von: "Das ist nicht mehr meine Baustelle / mein Thema." Nur so können Sie wertfrei und doch empathisch für jemanden präsent sein, ohne im Coach-Klienten-System Energie und Präsenz auf sich selber zu ziehen.  

    In dem Setting ist es normal und korrekt, dass man zwar für jemanden präsent ist, aber man nicht seine 'Dinge' übernimmt. Die müssen bei dem bleiben, der daran arbeitet. Natürlich würde das Klientel noch so gerne die Dinge übernehmen lassen, ist es anstrengend genug, die Betroffenheit zu haben. Am liebsten würden sie sie abgeben und nix mehr damit zu tun haben. Aber genau diese Zuwendung wäre komplett falsch und unprofessionell und ein Schaden für die Auftraggeber, welche auch bezahlen. 

    Kurz: Man muss das Thema ALS BETROFFENHEIT von der Backe haben - sonst betrügt man die Klientel um den Nutzen einer Wirkung. Das ist ein wirklich heikler Punkt, da man genau an dieser Stelle 
    • a) die eigene Auftragslage aufbessern kann, anstatt abzulehnen
    • b) die Klientel sofort anspringt und einem erwählt, weil es sich gemeinsam schöner weint und heult
    • c) dieses falsche Miteinander eine um so höhere Trüglichkeit empfinden lässt, da sie emotionaler und näher wirkt und einem dabei verführt. 

    Deshalb befürworte ich auch keine Fremdzahler in Personal-Coachings. Also wenn z.B. ein Partner oder Eltern sagt/sagen: "Komm, ich zahle dir das Coaching, du hast ja gerade kein Geld in deiner Arbeitslosigkeit." - Da läuft das Gift der Verführung (Entzug der Selbständigkeit = Minderung der Selbstbestimmungskompetenz) schon ins Boot, wenn man es nicht strikte unterbindet. Entweder zurückweist oder den Klienten auffordert, selber fürs Geld aufzukommen, ansonsten er/sie sich schon an der Stelle nicht SELBSTBESTIMMT und sich damit - auf Kosten anderer - sich was vormacht, ohne wirklich die Verantwortung (für sich und das Coaching) zu übernehmen. 

    Hinweis: Jeder Jung-Coach geht durch eine solche Phase, aber nur teilweise und meist mit sehr geringem Verfälschungsfaktor. Zudem sollten hierfür 5 - 10 erste Gesprächssitzungen reichen, um in seiner eigenen Reflexion, was er oder sie als Jung-Coach im letzten Gespräche bewirkt aber auch angerichtet hat, gleich hygienischer zu werden. Diesen Prozess haben wir aber auch bei einem Jung-Gewerbler, Frisösen, Köchen, Kundendienstler, Vertriebler. Eine Latenz eines solchen Effektes wäre wohl auch bei einem jungen Gründer zu entdecken und zu finden - auch dort ist viel Raum, den Auftrag an sich zu ziehen und mit nicht-professionellen Anteilen cachierend und lavierend bezahlt zu bekommen. 

    Aber dem gegenüber gibt es leider Menschen, die aus ihrer Betroffenheit nie wirklich rauskommen und die als Coach, Trainer, Tierliebhaber und Helfer eigentlich zu meiden sind. Solche Menschen haben den Hang 
    • zu Missionieren
    • sind Überzeugungstäter
    • gerne mal RechthaberInnen
    • lavieren zwischen nährenden und unnahrhaften Energiequellen
    • wirken unsicher
    • weichen selber der Reflexion aus, haben eigene Ausreden, stellen sich nicht

    Tipp: Wie kann ich als Jung-Coach damit umgehen? 

    Was man tun kann: Wenn man latent noch betroffen / oder Jung-Coach ist, kann es einem immer mal passieren, dass man wegen der Aussagen eines Klienten aus der Fassung gerät. Beispiel: Die Klientin erzählt, dass sie sich von ihrem Mann trennen möchte und da mitten drin steckt ... und nun gerät die Jung-Coachess in den Trigger und fängt an zu weinen, weil sie davon selber stark betroffen ist. Sie kann vor zu geringer Distanzierung vom eigenen Schmerz den Schmerz der Klientin so sehr nachfühlen, dass die starke Reaktion folgt und sie selber anfängt zu weinen.. Sie konnte aber vor dem Coaching nicht ahnen, dass die Klienten mit dieser Information rausrückt. 

    Was nun tun?
    1. Sich kurz entschuldigen und die Meta-Ebene des Gesprächs suchen. (Meta-Ebene = Helikopterebene: Mit Klient übers Gespräch sprechen.)
    2. Vor sich selber hart prüfen, ob das Coaching (bei einem nächsten Termin) fortgesetzt werden kann - wenn nicht sicher, dann es besser sein lassen. Sich also aus dem Auftrag verabschieden - das ist eine verantwortungsvolle Orientierung für den im Moment zurückbleibenden Klienten.
    3. Damit auch deutlich aussprechen, diese Sitzung nicht zu verrechnen. Klienten reagiern oft mit: "Doch, verrechnen Sie nur, das geht ok." Nicht machen. Bei sich bleiben und nicht verrechnen. Es geht um die Wiederherstellung der verlorenen kritischen Distanz. Also nun nicht in der Bedürftigkeit der eigenen Krise die Gegenangebots-Hilfe annehmen. Selber verkraften. 
    4. Lerne: Man muss IMMER bereit sein, ein Coaching abzubrechen und nicht zu verrechnen. Das gehört zu den Grundlagen der Ethik und der Selbstbestimmung von Coach und Coachee.

    Was ist, wenn Coaches BEDÜRFTIG sind?


    Die obigen beiden Beiträge beziehen sich darauf, wenn Coaches oder TherapeutInnen BETROFFEN wären, also antriggern könnten. 

    Aber es geht im Sinne der Leserfrage auch darum, was ist, wenn jemand coacht, der im Übermass also stark bis hin zu krankhaft/pathologisch BEDÜRFTIG ist nach
    • Zuwendung, 
    • Annahme, 
    • Akzeptanz und 
    • Bestätigung
    • Star-Allüren
    • Aufmerksamkeit

    Da ist die Antwort eindeutiger: So jemand sollte nicht jemand anderen "begleiten" (coachen oder therapieren). Das darf mE ethisch und wegen der Funktion des Coach-Klienten-Systems, die intakt bleiben muss, NICHT angeboten oder gemacht werden! 

    Warum? Die unterschwellig laufende Bedürftigkeit, welche in diesem Fall den Coach oder Therapeuten nähren soll (eine Art Befriedigung) stell nicht weniger dar, als einen klaren Missbrauch des Coach-Klienten-Systems bzw. -Verhältnisses.  

    Hat zum Beispiel jemand eine Persönlichkeitsstörung, wie z.B. einen ausgeprägten Narzissmus oder sogar eine Boarderline-Persönlichkeit, sollte es mE nicht weiter erlaubt sein, Klienten anzunehmen. Ob Narzissmuss oder Boarderline, es müsste abgeklärt und fachlich belegt sein, aber so jemand sollte mE nicht noch so tun und reden und schreiben, wie es ginge, wenn es einem selber nicht geht, dass man die eigene Bedürftigkeit nicht wirklich wegbringt, auch nicht für die wenigen Stunden mit dem Klienten. Beide Krankheitsbilder sind erwiesener Massen lebenslänglich manifest. 

    Der letzte Absatz mag meine subjektive Meinung sein, aber man möge mir sonst gerne erläutern, wie das doch sauber funktionieren kann, ohne dass dabei der zahlende Klient um sein Recht auf Wirkung betrogen bzw. beraubt würde. 

    Dass es im Aussen doch vorkommt, ist mE zu bestätigen, das gibt es. Menschen mit entsprechenden Persönlichkeitsstörungen sind HÖCHSTTRAINIERTE SchauspielerInnen. Gerade weil sie seit vielen Jahren sehnsüchtig nach Zuwendung streben und gleichzu cachieren müssen eine Art 'Vampir' zu sein, sind sie manipulative und wort- wie schriftgewandte, wie meist sehr schmeichelhafte Wesen, die einem mit ihrer Aufmerksamkeit so betören können, dass man zu gerne in gegenseitiger Bestärkung auf das verfälschte und krankhafte Angebote reinfällt. Man merkt anfänglich nicht, dass man in die Fänge einer Krake gerät.

    Eigentlich sind beide Opfer und ziehen sich darin an. Kein schönes Erwachen. Die Entlarvung solcher Personen ist auch schier nicht möglich, da Kritiker oder Kläger durch solche Personen gerne juristisch mundtot gemacht werden. Die fahren dann mit Drohungen und Verleumdungen auf, um auf keinen Fall aufgedeckt zu werden. An der Stelle kann es ungeahnt aggressiv werden. Nicht zu selten verlassen Klienten und TeilnehmerInnen von Kursen und Ausbildungen solche Auftragsverhältnisse mit einem Schock, oft mit juristischen Streitereien und last but not least einem argen Trauma in der Erfahrung durch begleitenden Fachpersonen, sprich 'Coaches'. Sich neu anzuvertrauen kann dann schwierig werden. 

    Ich danke für die Anregung, diese Betrachtungen niederzuschreiben. Ebenso hoffe ich, anderen in der Sache mehr Sicherheit oder Aufmerksamkeit ermöglichen zu können. Für Coaches oder angehende Coaches bedeutet es, die eigene Lage und Situation zu reflektieren, allenfalls mit jemandem zu besprechen und zu klären. 

    Mit besten Grüssen

    Jona Jakob
    Zürich Bern Frankfurt