07.03.17

Als Coach werben mit 'Mitteln / Methoden / Strategien' - Erweist die Coachingbranche damit ALLEN einen Bärendienst?

Kann man mit Methoden, mit Mitteln, 10-Punkte-Plänen oder Apps für Coaching werben? Oder tun wir der Klientel und last but not least der Coachinggilde einen Bärendienst damit?

Ich schreibe gegen Windmühlen an, wenn ich erkläre, gerade Coaches sollten nicht mit 'Mitteln und Methoden' werben. Es gibt andere Wege, auf sich aufmerksam zu machen, aber was wir nicht tun sollten, ist mit Aussagen werben wie
  • Ihr 10-Punkte-Leistungsprogramm mit Erfolg
  • Lernen Sie danke XY-Methode ihr persönliches Potential kennen
  • Dank der ABC-App glücklicher und zufriedener
  • etc. 
Solche Werbebeiträge sollten tunlichst gelassen werden - denn sie sprechen gegen zwei Grundsätze von Coaching: 

a) Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe - der Coach sollte ohne eigene Absichten oder Strategien bei den Anliegen des Klienten bleiben und

b) Es sind keine Versprechungen zu machen, weder für Erfolg, Glück, Leichtigkeit oder sonst etwas.

Doch täglich und zuhauf wird so geworben. Was erzeugt das bei genauer Betrachtung? 

1. Es erzeugt ein nie gewolltes Top-Down, der Klient wird dem Experten unterstellt. Der Coach weiss schon, "was für dich und deine Problemchen gut ist". 

2. Es geht damit einher, dass sich die Klientel von Anbeginn unterstellt, folgt und sich damit nicht wirklich in authentischer Eigenheit emanzipiert, sprich: entwickelt. Die Klienten ändern sich, aber nicht im humanistischen Sinn. Sie werden vielleicht sogar "besser" - aber wozu genau? Für mehr Geld, Karriere, Materiellen Gewinn, Leistung? Aber wird die Klientel auch Mensch im Sinne der Individuation? 

Man könnte genau so gut zum Arzt gehen - dem Gott in Weiss, ein eingefleischt anerzogenes Verhältnis seit der kindlich/elterlichen Erziehung, seit der Schüler-Lehrer-Erfahrung, dem Lehrmeister, den Offizieren im militärischen Dienst, dem Arzt, dem Rechtsanwalt, den Behörden, schier allen. Was bekannt ist, wird weiter gepflegt, nämlich folgendes gebürtiges Verständnis als Ordnung eines nicht bewusst gemachten Weltbildes:

Ich bin nicht ok - Du bist ok!

Dieses immer wieder sich einschleichende Verhältnis nährt sich parasitär von zwei Seiten gleichzeitig und verschlingt eine unvorstellbare Quantität und Qualität an eigentlich möglich lebbarem Leben:

c) Das meist unbewusste aber lebenserfahrene (Selbst-)Verständnis, ich bin die unerfahrene Person und du bist die/der Experte, alleine in den ersten 20 Lebensjahren zur genüge verankert, scheint zwar auf den wachen Blick hin "nicht so schön" - doch der guten Ordnung halber und auch wegen der bequemen Einfachheit wegen, stellt dieses Unterstellungsverhältnis eine enorme Komfortzone für Unselbständige dar. Du bist die Lokomotive und ich bin der Wagen - bitte zieh mich. 

d) Aus nicht zu knapp eigener Unsicherheit, wie man emanzipiert lebt  (und es als gebackener Coach tunlichst tun sollte - so das Gebot) übernimmt man, eitel oder selbstgefällig wie man ist - also irgendwie nicht wirklich fähig, wenn man ums Goldene Kalb Coachingmethoden tanzt -, den "Expertenstatus". Man/Frau "stellt sich über" - das ist nicht nur ein Fauxpas, das ist der Verrat an der Sache 'Coaching' selbst. Da folgt das missbrauchte Prinzip den Gedanken Julien Bendas und dem Verrat der Intellektuellen. Man scheppert laut mit seinen "heilsamen Mittelchen", getüncht im Anstrich des positiven Denkens sowieso - und verdreht einfach mal die Verhältnisse, verkennt dabei jede Realität des Lebens per se. 

Man scheppert laut mit seinen "heilsamen Mittelchen", getüncht im Anstrich des positiven Denkens sowieso - und verdreht einfach mal die Verhältnisse,
verkennt dabei jede Realität des Lebens und 
damit den gegenübersitzenden Menschen per se. 


Nicht zuletzt erzeugt das jene Sekunde betroffenen Schweigens, wenn mich jemand fragt, was ich arbeite und ich sage, ich sei Coach! Gleich zuckt die Person gegenüber zusammen und versucht mit einer Strategie der Ablehnung nur EINES: Sich in der gerade noch geruhten Position mir gegenüber bewahren zu können. Sage ich 'Coach', vermittelt das sofort das Gefühl von "Ich Experte - Du niemand". Damit ist die Sache kaputt. Richtig kaputt. Bin ich als Coach wach genug, lehne ich so jemanden ab, weil der, (siehe unter c) oben), gerne "in ein Coaching kommen würde" als läge er/sie sich dabei gemütlich auf den Massagetisch eines Wellnesstempels. Coach, mach mal. 

Das, liebe Berufskolleginnen und -kollegen, ist in sich sein Untergang. Und wenn nicht, laufen doch Millionen von Euros über die Tische und der Markt brummt, erzeugen wir anstelle von Menschen, die sich selbst verantworten und tragen, die unabhängig und emanzipiert bewusst leben wollen und dank selbstkompetenter Entscheide ihr Leben formen und gestalten, erzeugen wir optimierte Lämmer - aber weiterhin nur Lämmer. Der Methodenkasten als Elternersatz für Erwachsene, eine Art neue Bevormundung per se - denn gibt es diese gute Methode, sollte man sie schon nutzen.

Aber das ist das Gegenteil von Coaching. Basta. 

Coaching ist eine wunderbare Chance


Coaching ist eine wunderbare Chance - aber für die Menschen als Klientel, nicht für die Methoden, Mittel, Theorien und Wissenschaften. Diese haben sich zurückzuhalten, bis der Coachee äussert, an dieser oder jener Stelle Bedarf zu haben und ein Angebot zu wünschen. Erst dann sollte ich als Coach Möglichkeiten aufzeigen, Zugänge als Input anbieten (nicht intentiös auf Erfolg bedacht aufdrängen - auch nicht als "gut gemeint für die Klientschaft") allenfalls Brücken bauen. Coaching bleibt aber: die Klientin bzw. der Klient baut sich seine Brücke selber. 

Wie also kann ich ein Werbeposting in Fachblättern, Foren, Netzwerken und der digitalen Welt hervorstellen, welches ungefragt mit Gedanken und Verführungen wirbt, welche noch nicht eine Silbe nach den Anliegen des Kunden gefragt haben und was der braucht? Weiss ich als werbender Coach nun schon im Voraus, "was Du brauchst"? Oder soll ich im Sinne des 80er-Jahre-Marketings einfach "mal" ein paar Bedürfnisse wecken, die in dir schlummern? Werde ich fahrender Heilwasserverkäufer, wie damals im Wilden Westen? Heil'Praktiker?


Liebe Leserin und Leser

Wenn Sie selber ein Coaching als Begleitung für sich in Betracht ziehen, können Sie sich in allen Punkten stets fragen: 
  • "folge" ich den Angaben, Aussagen und Angaben, die mir zu einem Coach vorliegen? oder
  • "entscheide" ich aus eigenem Antrieb, wonach mir ist und was ich gerade brauche?

Liebe Coachingkolleginnen und -kollegen

Sind wir uns noch im Klaren? Sind wir allenfalls einfach nur pragmatisch für den finanziellen Erfolg? Oder kann es sein, dass wir uns einen massiven Bärendienst erweisen? Denn was genau waren die (nicht zu leicht nachvollziehbaren und komplexen) Gründe, warum Ärzte, Rechtsanwälte und Therapeuten nicht für sich werben durften? Hatte es da nicht sein Gutes dabei? 

Und stünde es uns selbst nicht an, bedacht und mit hohem Bewusstsein für ein humanistisch würdiges Menschenbild so zu werben - was durchaus möglich ist, zum Beispiel mit Ihrer Authentizität oder Transparenz, Greifbarkeit, etc - dass die Möglichkeiten des Menschen vor vorausgehenden Einflüssen bewahrt werden - wenigstens so weit, dass die eigene Entscheidungen fällen? 

Und last but not least: Wie sehr verstecken Sie sich als "Expertin bzw. Experte" hinter Ihren Methoden / Mitteln / Strategien und Plänen? Wie viel 'Pseudo' ensteht damit sogleich? Fehlt Ihnen das Format, sich zurückzuhalten, bis der Klient in den Ring tritt? Muss das Top-Down aufrecht gehalten und manifestiert werden? Stresst ein Sein im Gleichstand auf Augenhöhe? Haben Sie innere Panik falsch interpretiert zu werden, wenn Sie in lethologischer Haltung verbleiben? Sind Sie es eigentlich, der/die die Methode "braucht"?

Wenn Sie, was ich nicht bezweifel, Expertin und Experte sind - das ist in den meisten Fällen der Branche solide vorhanden - dann würde es Sie als solche doch eher auszeichnen, mit den notwendigen Werbebotschaften so umzugehen, wie es unser aller zugrunde liegende Gedanke, was Coaching per definition ist - und WOZU! - nämlich dann so zu werben, dass Klienten in eine eigens erweckte Reflexion geraten und dabei aus freien Stücken auf den Gedanken kommen, wo und mit wem Kontakt aufzunehmen. Es würde aus dem Sollen ein Wollen. 

Das Goldene Kalb 'Coachingmethode' - Echtes Expertentum nimmt sich da weg und unterlässt das so ideal wie möglich. Echtes Coach-Expertentum fordert seine Klientel heraus, kritisch zu bleiben, Abstand zu wahren, sich bei der Investition selber zu verantworten. Echtes Coach-Expertentum nimmt die Hand vom Rockzipfel, an den man sich so gerne klammern würde, ob als Coachee klammernd am Coach, ob als Coach klammernd an seinen Methoden. 

Wissen Sie, ich möchte wo sitzen und gefragt werden: "Was arbeiten Sie?" und dann mit "Coach" antworten, so dass ein gutes Verständnis und eine entspannte Akzeptanz im Raum steht. 

Oh ja, andere Wege sind anstrengender, bestimmt, da gebe ich Ihnen Recht. Nur: Wozu sollte der Klient aus seiner Komfortzone aufbrechen, wenn Sie als Coach nicht mehr tun, als gerade mal den einfachsten Weg wählen und hierfür die fachlich notwendigen Verhältnisse verdrehen? Der Klient merkt den Beschiss, kauft, zahlt, ändert nix und gibt der "unfähigen Branche" die Schuld. Hat er Recht. 

Mit besten Grüssen

Jona Jakob
Zürich Bern Frankfurt Aschaffenburg



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

jj@consensus-coaching.com