14.10.13

Coachingausbildung wird zum Loch, in das man fallen kann

Es ist mir als Beobachtung nicht entgangen, dass sich viele Menschen davon angetan fühlen, selber coachen und daher auch 'Coach' werden wollen. Neben diesem Anliegen gibt es eine Reihe angegliederter Formen solcher Bestrebungen, welche wir als Bereiche
  • der Körperarbeit 
  • der psychosozialen Arbeit und 
  • der Arbeitswelt (Skills) ansiedeln können 
  • selbst die beliebte Ausbildung des Heilpraktizierens gehört in dieses Feld 


Die Coachingausbildung als persönliche "Fallgrube"


Ich beobachte dabei seit Jahren ein Geschehen, das in den meisten Fällen "nach" Abschluss der Ausbildung auftritt, aber einem zu Fall bringen kann, jedenfalls für eine längere Weile:

Der ausgebildete Mensch, frisch gekrönt als Coach, fällt in ein Loch! Es zeigen sich mir Sachen wie
  • Unsicherheit 
  • Selbstzweifel 
  • zögerliches Vorangehen 
  • kaum Trittfestheit und 

  • Gewusel im Aussen bezüglich Leistungsbezeichnung 
  • Titel 
  • Zielgruppe 
  • Leistungsrahmen und last but not least 
  • den Honoraren/Preise 


(Bild von Jona Jakob auf Jotter)

Was passiert da?

I - Motivation zur Ausbildung

Die Motive, dass sich jemand für eine Coachingausbildung interessiert, liegen oft nicht einzig beim Fokus für andere Menschen. Vielmehr möchte man aus einem Bedürfnis in Sachen Selbstkenntnis und Ich-Kompetenz eine Ausbildung für Persönlichkeitsentwicklung machen, um sich selbst zu entwickeln bzw. einmal im Zentrum zu stehen.

II- Das Glücksgefühl der Ausbildung

Es ist nicht unbekannt, dass eine begonnene Ausbildung vielerlei gute Gefühle aufkommen lässt und man begeistert bis euphorisch bei der Sache ist, bis hin zur freudig verkündeten Anfrage um Unterstützung von Erhebungen für Abschlussarbeiten. Man ist gut und fleissig und stolz darauf. Gerne.


III - Beendung der Ausbildung

Auf einmal ist alles fertig. Die Zusicherung, man sei nun Coach ist ausgestellt, es gibt ein letztes Hallo und danach geht jede Teilnehmerin und Teilnehmer in seine eigene "Alleingelassenheit" (sag ich mal, um zu veranschaulichen). Danach vergehen die Wochen und es entsteht eine Distanz zur aktiven Lehrzeit, den 3-6 Monaten, wenn es dick kommt, war es ein Jahr. Tschüss, eingebundene Zeiten. Tschüss Gruppe. Ade Spiegelpartner und Feedback von Trainern. Hallo "Ich-alleine" und nun?: Ich falle in die Coach-Ausbildungsfalle!


IV - Die Dreiheit der Destabilisierung im Selbstvertrauen

Jetzt kommen drei Dynamiken zusammen:

  1. Meine "Allein-Sein-Verunsicherung" nimmt zu ...
  2. Der Diplom- bzw. Kundenerwartungsdruck nimmt zu ...
  3. Die Wirkung der Persönlichkeitsentwicklung setzt ein ...


IVa - zu 1 - : Meine "Allein-Sein-Verunsicherung" nimmt zu

Ich spüre mit jeder Woche mehr, dass ich 'niemanden' mehr für meine Fragen, Unsicherheiten, etc. habe, und ich aber von der ersten Sekunde Kontakt tausende von Fragen hätte, die alle zu klären wären. In der Ausbildung noch so klar empfunden, entsteht im Alleinsein ein 'pas-de-deux' (Zweiertanz) der höchsten Verantwortung ... bloss nix falsch machen, aber wie geht das?


IVb - zu 2 - : Der Diplom- und Kundenerwartungsdruck nimmt zu

Jetzt hat man diese Ausbildung. Verwandte, Kunden, Mitarbeiter im eigenen Unternehmen, Vorgesetzte und Kontakte wissen: "Ah, du hast doch jetzt eine Coachingausbildung - na, dann mach mal...!" - Und bitte, mach es richtig bzw. tu mir nix Falsches mehr, ob jetzt als Verwandter, Bekannte, Kollegin oder Trainer ... verletze oder enttäusche mich nie mehr, und vielmehr, bring mich vorwärts, selbst wenn wir nur einen Café trinken. Zeig mir wo es lang geht und überzeuge mich mit deiner Schlauheit, denn DU bist der Coach. Und bestimmt: Es ist mir egal, ob du selber in Nöten bist, auch bedarfst, keinen Auftrag oder Kunden hast und ich dir nicht ausgleichend begegne sondern fordernd und erwartend.

Jetzt kommt der Punkt, wo die "Ich-falle-Falle" einsetzt:


IVb - 3 - : Die Wirkung der Persönlichkeitsentwicklung setzt ein

In den 6-12 Monaten Ausbildung lernte ich mit Lust und Freude und einer hohen Bedürftigkeit unzählige Theorien, die ich alle für MEINE Persönlichkeitsentwicklung, für meine ICH-Kompetenz BENÖTIGTE. Benötigte als Not.

Es war herrlich und wohlig, von

  • Eisbergmodell
  • Transaktionsanalyse
  • Empathie
  • Zielentwicklung
  • Zuhören
  • Einfühlen
  • Verstehen
  • Fragetechniken
  • Programmierungen
  • Sozialisierungen
  • Lebenszyklen
  • etc. etc.
zu hören, zu vernehmen, es auf sich selber zu reflektieren und sich darin - als Auszeit und Tat am Guten - zu sehen. Es war schlicht die Wonne, sich wiederzuerkennen, von anderen gespiegelt, gefeedbacked und empathisch in Ich-Botschaften dargestellt und gesehen zu werden. Endlich wer, dem man sich anvertrauen kann. Endlich ein Ort, wo man sich offen zeigen darf, wo es gewünscht ist, sich zu reflektieren, in sich einzufühlen und hervorzuholen, was in einem seit vielen Jahren angestaut zugeschüttet unterliegt. "Auftun, öffnen, her damit .. Aahhh" - die Gruppe trägt das alles.

Aber da ist die Ausbildung auch schon fertig, alle sind weg und in meinen täglichen Handlungen erkenne ich mich wieder: klein, solo, unsicher, nicht gemittet und bedürftig.
Ich finde es zwar gut, endlich über mich selber reden und mich zeigen zu können. Ich finde es gut, meine Verletztungen und Wunden, Schwächen und Ängste eingestehen und offenlegen zu können ... doch nun liegt alles offen aber kaum etwas davon ist damit schon verarbeitet.

Das Verarbeiten setzt, frisch angefixt, eben erst ein: RRRUMPS ... PLATSCHH ... Beine weg.
Was meine ich mit "Loch, in das man fallen kann"?

Ich meine oft zu beobachten, dass die Anteile, welche die Persönlichkeit eines jeden in hoher Resonanz anklingen lassen, in den allermeisten Fällen nach einem ersten Erkennen und Wahrnehmen (noch in der Ausbildung) dann erst anfangen, als Erkenntnis in mich zu sickern, mich auffordernd, mich damit zu befassen. Ich muss mich - so 'viral' angefixt - auseinandersetzen, hinschauen und es herausarbeiten, ganz nach dem (Stupid-)Klassiker: "Schau bei dir selbst - was hat das mit dir zu tun?", ganz oft ein überfordernder Einsamkeitsschaffer aller erster Güte.

Die jahrelang verhinderte Persönlichkeitsentwicklung wird durch solche Kurzausbildungen wie ein Pickel entzündet, reif gemacht und auch aufgedrückt, damit sich sein Inhalt unschön zeigt ... - doch wenn danach keine Zeit bleibt, die offenen Wunden richtig leer zu machen, sie zu säubern und sorgsam verheilen zu lassen, bleibt was? Eine Narbe, zu oder offen nässend.

Und so kann es sein, dass jemand nach einer zu kurzen Ausbildung mit persönlichkeitsentwickelndem Anteil zwar an vielen Stellen erlöst offen dasteht, jedoch niemanden mehr findet, der nun die Heilung, Verarbeitung und Entwicklung mit einem begeht und liebevoll mitmacht, bis es gut sein kann.

Es steht dann wer da, mit seinem Coach-Titel, und fühlt sich allenfalls unsicherer als je zuvor. Wo hingegen das Umfeld meint, einen ausgebackenen Psychologen vor sich zu haben, der nie mehr eine Schwäche zu zeigen braucht. Ein Konflikt, der zum Verkriechen führen kann.

Wenn Ausbildungen von der Dauer her lange, d.h. zwei und mehr Jahre dauern, wird diese Krise meist durch die Ausbildung getragen. Die Gruppe ist noch da, die Trainer ebenso, man hat mehr Zeit und auch das Ausbildungssetting, an welches man immer und immer wieder vertrauensvoll gelangen darf.

Wenn wer aber in die Situation gerät, dass die frisch geöffneten Erkenntnisse ANFANGEN ZU WIRKEN, dem entsteht keine Möglichkeit, diesem auszuweichen. Der Prozess der Entwicklung, ob zum Guten oder Verunsicherten, schreitet ohne Rücksicht voran und verändert einem, ob per Krise oder Erkenntnis, ob als heilsames Gutwerden oder bleibendes Vernarben.

Man kann sich in dieser Situation nur entscheiden, ob man das Ganze mit sich selber durchsteht, diese 1-2 Jahre Prozess, oder ob man eine Möglichkeit zur Supervision prüft. Damit: Mit dem Diplom fängt sehr oft erst etwas an, was einem selber mehr beschäftigen kann, als dass man verantwortungsvoll in der Lage wäre, für andere Menschen bereits eine Begleitung und ein Vorwärtsbringen zu bewirken, fühlbar als in sich ruhend und mit gereifter Sicherheit, Ich-Kompetenz und Sozial- oder Methodenkompetenz.

Vielmehr kämpft man allenfalls mit zusätzlichen Nebenerscheinungen:

  • Partnerschaftsverlust
  • Jobverlust
  • Selbständigkeit
  • Scheidungsbedürfnis
  • Bruch mit den Eltern
  • Verlust von früheren Kollegen
  • Einsamkeit
  • noch keine neuen Freunde, etc.

Mein Vertrauen, meine Sicherheit, meine Gelassenheit, mein Gesundsein und mein ganz eigenes OK-Sein ist MEINE Mitte. Meine Offenheit ist ein Bild von einer ruhenden Seele und nicht einer offenen Fleischwunde. Nach Ausbildungen - egal welcher - entsteht für die allermeisten Absolventinnen und Absolventen, vom Abiturienten bis zum Fach-Meister eine Art "Vakuum" - dort hineinzufallen hat seine Tücken - aber für einen Coach geht das nicht!

Es lohnt sich mE, solches zu beobachten und allenfalls einzugestehen, nicht als Form von Bezichtigung, sondern als gut verstandenes Zeichen von Verantwortung, welche man dann doch wahrhaben will.

Nachtrag:

Geben Sie nun auf keinen Fall auf. Das Löbliche an Zeit ist, dass sie verrinnt. Und noch viel löblicher ist des Menschen "Reaktualisierungstendenz" (Rogers) ... aus dem Sturmtief segeln Sie dann schon wieder raus - wohlwissend, was ihr Schiff auszuhalten vermag. Danach ... danach ist man 'Captain' - mit oder ohne Diplom.

Warum? Weil Ihre Erprobtheit glaubwürdig geworden ist - was dem Gegenüber spirituell das Gefühl von Vertrauen verschafft. Und eben nicht das schimäre Vertrauen, Ihnen nachzudackeln, als wäre Sie die Obermutter, nein, ich rede von echtem Vertrauen, welches Sie schaffen, in welchem nun andere Menschen ihr ganz eigenes Schiff erproben wollen, erfahrend, ob es selbsttragend und selbstverantwortend schwimmt.

Herzlich

Jona Jakob

consensus-coaching.com

Zürich Bern Frankfurt